Das Fernsehen hat einen Konkurrenten bekommen: Heute schalten unzählige Zuschauer nicht nur mit der Fernbedienung, sondern auch per Mausklick zwischen den Kanälen hin und her. Starre, lineare Senderstrukturen verlieren zunehmend an Bedeutung, während sogenannte „YouTube-Sender“ durchstarten. Liegt die Zukunft des Fernsehens im Web?
Es ist Tradition: Jeden Sonntag Abend sitzt ein Millionenpublikum vor dem Fernseher und schaut den Tatort, Deutschlands beliebteste Krimi-Reihe. Während früher die Ermittlung am nächsten Morgen Gesprächsthema Nummer 1 in deutschen Büros war, erfolgen die Analysen heute live und online, beispielsweise über Twitter. „Second-Screen“ nennt sich das Phänomen, das verdeutlicht, dass das Fernsehen seine Exklusivität verloren hat. Parallel zu der laufenden TV-Ausstrahlung diskutieren bei Twitter Woche für Woche Hunderttausende Fans über den Fall. Gekennzeichnet wird dies dann mit einem Hashtag(#tatort). Laut einer aktuellen Umfrage im Auftrag des Branchenverbands Bitkom surfen rund 77 Prozent der Internetnutzer in Deutschland, während sie gleichzeitig TV-Programme wie z.B. den Tatort verfolgen.
Die Fernseh-Sehdauer der Deutschen wuchs über die Jahrzehnte kontinuierlich: Von 2008 bis 2011 steigerte sich die Sehdauer um 18 Minuten, so verbrachten Zuschauer im Jahr 2011 laut der Arbeitsgemeinschaft Fernsehforschung (AGOF) durchschnittlich 225 Minuten pro Tag vorm TV. Überraschenderweise wurden seit 2012 rückläufige Zahlen festgestellt, die Fernsehdauer nahm ab. Es zeichnet sich deutlich ein Trend ab, Bewegtbildmaterial online abzurufen. Die ARD/ZDF-Onlinestudie aus dem Jahr 2013 weist nach, dass 95 Prozent der 14- bis 29-jährigen deutschsprachigen Onlinenutzer mindestens gelegentlich, 76 Prozent sogar einmal wöchentlich Videodateien im Internet abrufen – das Phänomen „Second Screen“ ist da nur ein Vorbote.
Gerade jüngere Zuschauer wandern ab
Die TV-Anstalten haben zunehmend Probleme, jugendliche Zuschauer zu begeistern, denn den größten Anteil des Publikums bilden die über 50-Jährigen. Die 14- bis 29-Jährigen wenden sich vermehrt ab und schauen im Schnitt nur noch 137 Minuten pro Tag Fernsehen, wie eine Studie der AGOF belegt. Formate wie „Deutschland sucht den Superstar“ und „Germanys Next Topmodel“, die einst Erfolgsquoten garantierten, können die nachfolgende Generation nicht mehr mitreißen. Während die Programmchefs der großen Fernsehanstalten sich an der jungen Zielgruppe die Zähne ausbeißen, sind diese still und heimlich zu einem jahrelang unterschätztem Medium abgewandert: Knapp 60 Prozent der Deutschen nutzen laut der ARD/ZDF-Onlinestudie aus dem Jahr 2013 Videoportale im Internet. Innerhalb von sechs Jahren bedeutet dies einen Zuwachs von fast 50 Prozent. Das Web, insbesondere YouTube als beliebtestes Online-Video-Portal, ist für die jungen User deutlich attraktiver als das herkömmliche Programmangebot, denn sie gucken mobil und nutzen das Web als Hauptinformationsquelle. Genau dort wollen sie auch alle anderen Medieninhalte abrufen, zu einem für sie passenden Zeitpunkt. Das kann das Fernsehen mit seinen starren Strukturen nicht bieten, und so präferieren mehr und mehr Teenager YouTube als Fernsehersatz. Hinzu kommt, dass die YouTube-Stars selbst aus der Zielgruppe stammen und ein deutlich höheres Identifikationspotenzial bieten als etablierte TV-Stars oder Castingshow-Produkte.
Doch wer meint, die Strukturen des linearen Fernsehens sind in den Youtube-Kanälen gänzlich durchbrochen, irrt: Erfolgreich sind jene Sendungen, die regelmäßig zu bestimmten Tagen und Uhrzeiten neue Inhalte zur Verfügung stellen. Manche YouTuber, zum Beispiel die „Ponks“ (ein professionell betriebener YouTube-Kanal, auf dem die Mitglieder regelmäßig Comedy-Videos produzieren), haben ihren Zeitplan sogar prominent auf der Kanal-Startseite abgebildet. Erscheint ein Video mal 30 Minuten zu spät, löst das böse Kommentare der Fans aus – YouTube wird ernst genommen. „Feste Sendepläne geben den Zuschauern Erwartungssicherheit und führen dazu, dass bestimmte Kanäle regelmäßig geguckt werden. Gleichzeitig wollen gerade junge Zuschauer trotzdem on-demand gucken, also wann sie wollen. Sie wollen sicher sein, dass ab einem bestimmten Zeitpunkt garantiert neue Inhalte da sind, die sie dann jederzeit ansehen können“, sagt Moritz Meyer, Pressesprecher von Mediakraft.
Erst 2011 in Köln gegründet, schaffte es Mediakraft, mit über 200 Millionen Views pro Monat binnen zwei Jahren zum größten Online-TV-Sender im deutschsprachigen Raum zu werden. Rund 600 YouTuber, wie sich die Protagonisten der Sendungen nennen, stehen mit 700 Kanälen vor der Kamera. Dabei sind die Themen so unterschiedlich wie die Interessengebiete der Viewer: Ob Beautytipps, Songparodien oder Mitschnitte von Gaming-Sessions, sogenannten „Let’s Plays“, das Angebot ist riesig und, anders als beim klassischen Fernsehen, individuell zusammenstellbar. Die User abonnieren genau die Kanäle, die ihnen gefallen, und bestimmen ihr YouTube-Programm somit selbst.
Youtube ist weitaus mehr als Katzencontent und Musikclips
Mit über 2,6 Millionen Abonnenten und insgesamt über 500 Millionen Videoabrufen können die drei Jungs vom Kanal „Y-Titty“, ebenfalls produziert durch das Kölner Unternehmen Mediakraft, mittlerweile von ihrem Erfolg leben – vor wenigen Jahren noch undenkbar. 2006 begannen sie mit Amateur-Videos mit selbstgeschriebenen Sketchen, mittlerweile bieten Y-Titty hochwertig produzierte Inhalte im HD-Format. Das Online-Comedytrio, das 2010 aus dem mittelfränkischen Hilpoltstein in die Medienmetropole Köln gezogen ist, war beim Video-Day, dem größten YouTube-Treffen Europas, im August 2013 in der Kölner Lanxess-Arena der Headliner und somit auch offline der absolute Publikumsliebling. Es folgten ein Buch, ein Album und eine Tour – der Sprung von YouTube ins „reale“ Leben war geschafft.
Neben ihrem Hauptkanal „Y-Titty“ betreiben die Comedians den Zweitkanal „diejungs“, in dem sie einen Blick hinter die Kulissen gewähren, Bezug auf Kommentare nehmen, Making Ofs ausstrahlen und sogenannte „Onetaker“ präsentieren. Außerdem sind sie mit weiteren bekannten YouTubern wie zum Beispiel den ApeCrime- oder den Ponk-Mitgliedern am Online-TV-Sender „Y-Play“ beteiligt, der im Juli 2013 ins Leben gerufen wurde. Hierbei handelt es sich um einen „Sender“, auf dem sie Let‘s-Play-Videos hochladen. Es erscheint täglich ein neues Video zu einer festen Uhrzeit, mit einem bestimmten Motto wie zum Beispiel „App-Play“ oder „Versus-Play“.
Ein Online-TV-Sender bietet den Usern regelmäßiges, professionelles Programm. Das Professionelle beweist sich durch ein hervorragendes Bild und gute Ton- und Lichtverhältnisse. Anders als beim klassischen TV sind die Protagonisten frei in der inhaltlichen Gestaltung und bestimmen die Dauer der Produktion eigenständig. Die Verlässlichkeit für die User entsteht durch die Ausstrahlung zu festen Sendezeiten. Die YouTuber entscheiden selbst, was sie wann für welches Publikum senden wollen. Genauso können die Zuschauer aus dem Angebot frei auswählen, sie bestimmen, wann sie welche Sendung auf welchem Gerät erleben wollen.
Moritz Meyer erklärt das Online-TV-Sender-Modell: „Das Senderkonzept beruht letztlich darauf: Die Zuschauer haben nicht nur Interesse an bestimmten Personen, sondern auch an Themen wie Gaming, Lifestyle oder News. Auf unseren Sendern finden sie diese Themen präsentiert von YouTubern, die sie gerne gucken, aber unabhängig von bestimmten Personen.“ Sinn des kanalübergreifenden Konzeptes ist, dass beliebte YouTuber nicht nur Bewegtbildmaterial für ihre eigenen Kanäle produzieren, sondern obendrauf gemeinsam zu bestimmten Themen vor der Kamera stehen. Mit ihrem Sendeplan erinnern die Kanäle somit an „echte Online-TV-Sender“. Die Sender verstehen sich als Gemeinschaftsprojekte und insgesamt als eine riesige Cross-Promotion, Werbung von allen für alle Beteiligten. Die Community erfährt zu einem Themengebiet, wie z.B. Gaming, auf ihre Generation abgestimmte, relevante Inhalte. Etwas, dass das Fernsehen lange nicht mehr bieten kann.
Neben „Y-Play“ launchte Mediakraft im Jahr 2013 noch den Community-Rap-Battle-Sender „Hometown TV“, den Nachrichten Sender „Was geht ab?“, „Techscalibur“, den Sender für Nerds und den Fashion-, Beauty- und Lifestyle-Sender „Parkstraße & Schlossallee“. Die neue Mediakraft Senderstrategie ist das größte Programmkonzept, das es im deutschsprachigen YouTube bisher gegeben hat – das erkennen auch die großen Fernsehanstalten. Nachdem sie die Online-Konkurrenz jahrelang unterschätzt haben, springen sie nun auf den Trend auf: RTL kaufte sich mit 26 Prozent in das YouTube-Netzwerk „Divimove“ ein. Die Notwendigkeit, aktiv zu werden, resultiert nicht zuletzt aus den Jahres-Quotenmessungen. In der jungen Zielgruppe konnte der Kölner Privatsender RTL seine Führungsposition im Jahr 2013 zwar verteidigen, allerdings mit dem schlechtesten Marktanteil seit über 20 Jahren. Auch Endemol, Produzent von TV-Sendungen für zahlreiche deutsche Sender, hat mit „endemol beyond“ ein eigenes Netzwerk aufgebaut.
YouTube hat sich zu einer ernstzunehmenden Konkurrenz, von der Amateurplattform zum alternativen Fernsehprogramm mit eigenen „Sendern“ entwickelt. Die Videomacher erstellen feste Sendestrukturen, um ein breiteres Publikum für ihre Formate zu finden, während klassische TV-Anbieter darauf abzielen, ihre linearen und starren Senderstrukturen mittels Mediatheken und Apps zu ihren Sendungen auf die Generation YouTube anzupassen. So versuchen beide Seiten, das Beste der jeweils anderen Welt für ihre Zuschauer zu nutzen.
Annalena Schmitz