Das Zeitalter der neuen Spielekonsolen ist angebrochen: Microsofts „Xbox One“ wird mit einer Kamera ausgeliefert, die Spracherkennung und Gestensteuerung ermöglicht – dafür ist die Kamera permanent auf den Anwender gerichtet. Doch sind die privaten Daten der Benutzer sicher?
1984. Jeder Einwohner hat Überwachungsbildschirme in seiner Wohnung. 2001. Ein rotäugiger Computer tötet Menschen, um die Mission zu erfüllen. Beide Ereignisse sind Fiktion, entwickelt von George Orwell und Stanley Kubrick. Ihre Werke „1984“ und „2001 – Odysee im Weltraum“ gelten heute als Meisterwerke der literarischen und filmischen Kunst, da sie Entwicklungen ihrer Zeit erkannten, hinterfragten und als dystopische Zukunftsvisionen überspitzt darstellten.
22. November 2013. Microsofts neue Spielkonsole, die „Xbox One“, wird veröffentlicht. Bestandteil ist die Kamera „Kinect“. Diese Kamera ist auf den Nutzer gerichtet, damit dieser durch Gestensteuerung und die eigene Stimme einzelne Spiele steuern sowie durch das Menü der Xbox navigieren kann. Außerdem erkennt der Kinect-Sensor auch das Gesicht und die Mimik des jeweiligen Benutzers und meldet ihn an. In den Einstellungen der „Xbox One“ kann man auf die Sensoren zugreifen und sich die Bilder anzeigen lassen, die Kinect sieht. Beispielsweise kann man sich Wärmebilder der verschiedenen Nutzer ausgeben lassen. Die Sensoren erkennen den Herzschlag, den Puls, die Pose des Spielers sowie die Drehung seiner Gelenke oder die Muskelanspannung. Zudem erkennen die Sensoren, wie der Nutzer mit Augen und Mund agiert. Kinect kann also auch die Emotionen und Gemütszustände des Spielers erkennen.
„All-in-One Entertainment System“
Microsoft stellte seine neue „Xbox One“ nicht als klassische Spielekonsole dar, sondern als „All-in-One Entertainment System“. Neben dem bloßen Spielen hat die „Xbox One“ noch viele weitere Funktionen. Der Zugang zum Internet ist eine Selbstverständlichkeit und damit kann die „Xbox One“ de facto alle Möglichkeiten des Webs ausschöpfen: Videoanrufe mittels Skype, das Streamen von Filmen und Serien, Musikdienste. Für alles gibt es auf der „Xbox One“ Apps, wodurch sämtliche Programme mit der „Xbox One“ kompatibel gemacht werden. Der große Clou ist allerdings die Sprachsteuerung, mit der auch der Fernseher bedient werden soll: Anschalten und Umschalten mit der Stimme. Microsoft sieht darin eine Revolution für den Anwender – keine Fernbedienungen mehr, kein Merken von Programmplätzen.
Kinect – Freund oder Feind?
Kinect bietet laut Microsoft vor allem „revolutionäre Spiel- und Komfortfunktionen“. Dass einigen Nutzern eine Kamera, die in ihrem Wohnzimmer ständig auf sie gerichtet ist, befremdlich erschien, blieb allerdings auch Microsoft nicht verborgen. Bei der ersten Präsentation der „Xbox One“ im Mai 2013 hieß es noch, dass die „Xbox One“ immer online sein müsse um zu funktionieren und auch, dass Kinect nicht abschaltbar sei. Darauf folgten ein gewaltiger Shitstorm und Einwände von Datenschützern. Der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar reagierte damals aufgebracht: „Unter der Überschrift ,Spielgerät‘ drückt Microsoft ein Überwachungsgerät in den Markt.“ Microsoft reagierte. Der Kinect-Sensor ist mittlerweile abschaltbar, aber damit schaltet man natürlich auch dessen Funktionen ab. Außerdem bezahlt man 500 Euro für eine Konsole, die immer mit Kinect ausgeliefert wird. Es gibt aktuell noch keine Variante ohne den Kinect-Sensor. Bedenklich ist auch, dass man sich als Konsument zunächst einmal mit dem ganzen Kinect-Kosmos beschäftigen muss. Viele Eltern haben ihrem Kind zu Weihnachten eine „Xbox One“ gekauft, weil es auf der Wunschliste stand. Die wenigsten werden sich allerdings mit den genauen Funktionen der neuen Spielkonsole auseinandersetzen, die Kinder interessieren sich zum großen Teil nicht für Datenschutz. Da stellt sich die Frage, ob vor dem Spaß am Spielen eine Vielzahl von Entscheidungen stehen muss. Da stellt sich aber auch die Frage, ob man sich überhaupt intensiv mit Kinect befassen muss – oder Microsoft vertrauen kann.
Horrorvision oder Totalüberwachung?
Nachdem Microsoft auf die Kundenreklamationen reagierte, besserte sich auch die öffentliche Wahrnehmung. „Dass Microsoft jetzt mein Wohnzimmer ausspioniert, ist bloß eine verdrehte Horrorvision“, meint Peter Schaar dazu.
In Deutschland ist das Bayerische Landesamt für Datenschutzaufsicht für Microsoft zuständig. Auf Anfrage erklärte dies, dass es davon ausgehe, dass Microsoft keine Datenschutzrichtlinien verletzen werde. Allerdings verdeutlichten sie auch, dass sie zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch kaum Einschätzungen zum Datenschutz auf der „Xbox One“ treffen können.
Andere Datenschutzorganisationen haben allerdings bereits Einschätzungen zur „Xbox One“ getroffen. Der Big Brother Award wird jährlich an Behörden, Unternehmen oder Personen vergeben. Den Negativpreis erhalten diejenigen, die die Privatsphäre von Personen beeinträchtigen oder Dritten Daten zugänglich gemacht haben. Der österreichische Big Brother Award wurde dieses Jahr an Steve Ballmer, den CEO von Microsoft, vergeben. „Mit der Sprach- und Gestensteuerung der ,Xbox One‘ kommt die Totalüberwachung quasi ins Wohnzimmer“, war die Jurybegründung.
Laut Microsoft werden die Bilder, die Kinect aufnimmt, nicht in einer Cloud gespeichert, sondern verbleiben auf der eigenen Konsole. Die gesammelten Daten sollen nach dem Ausschalten gelöscht werden. Falls man allerdings online gespielt hat, behält sich Microsoft das Recht vor, die gesammelten Daten zur Verbesserungen der eigenen Dienste zu analysieren. Inwiefern die Daten abgesichert sind, ist ebenfalls nicht geklärt. Viele Spieler erinnern sich noch an den Datendiebstahl bei Sony von 2011, bei dem 70 Millionen Nutzerdaten des Playstation-Netzwerks entwendet wurden, darunter 2,2 Millionen Kreditkartendaten. Was würde also passieren, wenn die Kinect-Daten nun gehackt werden? Fragen, die aktuell niemand beantworten kann.
Kernmarkt – die unempfindliche USA?
In den USA wurde die „Xbox One“ eine Million mal in den ersten 24 Stunden verkauft, womit sie ähnliche Verkaufszahlen wie die direkte Konkurrenz, die Playstation 4, erreichte. Die „Xbox One“ war als „All-in-One Entertainment System“ vor allem auf den amerikanischen Markt ausgelegt. Microsoft schloss Exklusivverträge mit der NFL (National Football League) ab, um neue Kundenmärkte zu erschließen. In den USA wird die „Xbox One“ auch wegen der großen TV-Unterstützung und der Herkunft von Microsoft gut aufgenommen. Kinect hatte bei den meisten Spielern hingegen einen schlechten Start. Besonders in Deutschland spielt das Thema Datenschutz eine wichtigere Rolle. Die Wahl beim Release der neuen Konsolen von Sony und Microsoft fiel in Deutschlands vermehrt auf die Playstation 4, weil Sonys Konsole im Vorfeld keine Datenschutzbedenken wachrief. Auch die Playstation 4 bietet eine Kamera an, jedoch liegt diese nicht der Konsole bei wie Kinect, sondern kann zusätzlich gekauft werden. Rein optional. Die Redaktion von „Spieletipps“, einem der reichweitenstärksten Spieleportale Deutschlands, hält ein gesundes Grundmisstrauen gegenüber der „Xbox One“ für durchaus angemessen. Ein Kauf sei allerdings unbedenklich, gerade weil man Kinect mittlerweile auch ausschalten kann.
„Xbox One“ und die Werbung
Eher revolutionär als Gestensteuerung oder die Entbehrlichkeit einer Fernbedienung ist ein Blick hinter die Möglichkeiten der Sprachsteuerung, die Kinect ebenfalls bietet, beispielsweise während der Nutzer fernsieht. Die Kamera ist auf den Nutzer gerichtet, während dieser gemütlich fernsieht, auf Werbungen oder die angesehenen Sendungen reagiert. Könnte Microsoft die gesammelten Daten also nicht an den Werbemarkt verkaufen? Microsoft erklärt dazu: „Microsoft hat keine Pläne, Werbeanzeigen oder Inhalte basierend auf Kinect-Daten anzuzeigen. Die Privatsphäre der Kunden wird stets gewahrt und die Verwendung der durch Kinect erhobenen Daten erfolgt nur mit ausdrücklicher Zustimmung der Nutzer. Es werden keine persönlichen Daten gesammelt und mit Dritten geteilt oder gar verkauft.“
Noch im Juli hatte der Chef der Xbox-Marketingabteilung, Yusuf Mehdi, vor der „Association of National Advertisers“ in den USA einen Vortrag gehalten, in dem er die Intention der Xbox-Abteilung erklärte: „bridging worlds and offering that to advertisers“. Zudem erklärte er, dass die „Xbox One“ den Werbemarkt revolutionieren könnte.
Letztlich dementiert Microsoft allerdings eine Zusammenarbeit und einen Austausch der Kinect-Daten mit den Werbekunden. Albert Penello, der Chef der Xbox-Produktplanung stellte klar: „Nobody is working on that. We have a lot more interesting and pressing things to dedicate time towards.“
Revolution des Werbemarkts?
Auch wenn Microsoft aktuell wohl keine Pläne hat, die gesammelten Daten zu verkaufen, ist es doch interessant zu betrachten, wie der Werbemarkt solche Entwicklungen beurteilt. Neben Microsoft gibt es ja auch weitere Global Player, wie beispielsweise Google und Samsung, die bereits ähnliche Lösungen entwickeln. Felix Kühn von der Agentur Pixelpark, einer Kölner Full-Service Agentur für multimediale Kommunikation und E-Commerce, sieht im Xbox-Konzept eher „eine Erweiterung der klassischen Werkzeuge der Meinungs- und Marktforschung als eine aus dem Nichts entstandene Neuentwicklung“. Außerdem sieht er einige potenzielle Fehlerquellen beim Zuschnitt der Xbox One auf den Werbemarkt. Beispielsweise könnten sich drei Personen im Wohnzimmer versammeln und gemeinsam eine Sendung schauen. Während der Werbepause könnte es eine Katzenstreuwerbung geben, bei der der aktive Spieler nicht reagiert, seine Stiefmutter und ein Freund allerdings mit Gelächter. Wird nun auf der Xbox One vor allem Werbung für Katzenstreu angezeigt, wobei Stiefmutter und Freund diese nicht mehr sehen würden?
Allerdings könnte sich das System in bestimmten Bereichen dennoch auch für den Werbemarkt bewähren. Als Vergleichsbeispiel dient die Gemeinde Haßloch. Seit 1986 testet die Gesellschaft für Konsumforschung dort neue Produkte und neue Werbung. Weil die Bewohner Haßlochs „besonders durchschnittlich“ sind. Eine solche Situation könnte die „Xbox One“ erreichen, wenn sie beispielsweise nur das Hauptprofil, den Spieler, besonders beobachtet, und andere Personen ignoriert. So könnten in einer Art Laborsituation die Menschen beobachtet werden und diese müssten nicht, wie üblich, befragt werden. Dies könnte zu qualitativ hochwertigen Erkenntnissen führen. Felix Kühn von Pixelpark denkt deshalb, dass die neue Technologie „für den richtigen Anwendungsfall sehr wertvoll sein kann“.
Eine Revolution, wie Yusuf Mehdi behauptet, scheint allerdings zu hoch gegriffen. Felix Kühn meint: „Revolutionen würde ich persönlich keine erwarten, da sich im Bereich der personalisierten Werbung seit einigen Jahren viel bewegt und unterschiedlichste Informationsströme auf den Konsumenten einprasseln. Viele Unternehmen sehen z.B. in solchen Sachen wie Location Based Services viel Potenzial, weil das Smartphone viel näher am Menschen ist als alles, was üblicherweise in einem Wohnzimmer steht.“
Freiheit oder Technik?
Wenn Microsofts Produkt Erfolg hat, wird es Nachahmer geben. Neben Microsoft entwickeln auch andere Firmen Produkte, die zunächst skeptisch betrachtet werden. Gerade von einer Revolution wird zu häufig geredet. Einige dieser neuen Technologien schaffen es nicht zu überleben und verschwinden wieder. Andere werden nach anfänglichen Bedenken akzeptiert. Google Glass, ein am Kopf getragener Miniaturcomputer, soll bereits Anfang 2014 Marktreife erreichen. Auch in den nächsten Jahren wird es weiterhin Produkte geben, die weiter in die Privatsphäre von Menschen eindringen. Meist mit dem vordergründigen Ziel, mehr Komfort, Bequemlichkeit oder Verbesserungen zu schaffen. Die digitale Zukunft wird mit dem Problem zu kämpfen haben, dass große Unternehmen mit neuen Technologien gewisse Persönlichkeitsrechte bedrohen.
Ziel muss es sein, dass Technologie nicht irgendwann den Menschen kontrolliert oder jeder, angefangen bei den Gedanken, überwacht wird. Wie in Orwells 1984.
Simon Mödder